III: Wie die Kräfte schwinden, oder das erste Ende
Weg – Öldorf – Ahlendung – Sülze – Kaas – Delling / Habe danach einen viel schöneren Weg von Öldorf in die Delling gefunden / Weg – (K) Öldorf – Schmitte – (A3) Reudenbach – (K) Kaas – Schultheismühle – Delling
Ich war schon ein Stück diese langgezogene Kurve geritten als ich Renate laut schimpfen hörte. Mira machte doch scheinbar Probleme an diesem Rinnsal. Hab noch gedacht „was für ein Theater”, war ziemlich genervt und bin langsam, mehr widerwillig umgekehrt. Sah nur noch Mira von diesem Ungetüm von Rinnsal zurückdrängen und plötzlich, wie von Sinnen abdrehen und buckelnd auf die angrenzende Weide preschen. Im vollen Galopp sah ich Renate im Zeitlupentempo seitwärts heruntergleiten, fast schwerelos, richtig zärtlich. Mira galoppierte weiter. Der Sattel mit allem Gepäck drehte sich unter sie und schlug bei jedem Gallopsprung gegen ihre Hinterhand. Eine mörderische Hetzerei, Mira jagte in immer größerwerdenden Kreisen über die Weide.
Renate, Renate – mit zwei Pferden an der Hand rannte ich. Sie war überhaupt nicht ansprechbar, wimmerte nur leise., nur noch Hilflosigkeit. Bin einfach nicht an sie herangekommen, immer nur das Stöhnen, Renate, und dieses durchgeknallte kreisende Pferd. Renate wurde einfach nicht wach. Handy raus, Dieter angerufen, dem Notruf hätte ich noch nicht mal erklären können wo wir genau im Wald waren. Wir kommen sofort, sind in fünf Minuten da, lauf zur Straße damit wir dich sehen können. Irgendwie hab ich Mira zu Fassen bekommen, Sattel, Gepäck oder besser gesagt was davon übrig geblieben war runter, und dann aus dem Wald zur Straße gerannt. Wo Peggy und Julchen geblieben sind, wann ich sie abgesattelt habe, ich weiß es nicht mehr. Ich sah Dieter und Sigi schon von weitem. Hab gebrüllt und gewunken, waren noch viel zu weit entfernt. Weiter den Waldweg hinuntergerannt, gebrüllt, gewunken, in den Jeep gesprungen, über den Waldweg zurück. Strupp war mir nachgelaufen, hatte ihn an der Straße wo ich in den Jeep sprang komplett vergessen. Renate stand gerade auf als wir ankamen.
Was macht ihr denn hier. Dieter hat sich Renate geschnappt und ist ins Krankenhaus gefahren, Sigi blieb bei mir um die Pferde einzusammeln. Die Hektik legte sich kaum. Ich war voll von der Rolle. Es war so ein Zwischending aus hilfloser, steinerner Ruhe und absoluter Gereiztheit. Dieter hat sich Mira geschnappt, sie draußen vor der Weide am Waldweg angebunden, ich kam mit Peggy und Julchen nach. Was machst du da, Peggy schoß plötzlich zur Seite und hing mit der Hinterhand in einem rostigen Elektrodraht. Dieser Anblick eines im Draht festsitzenden Pferdes, das hatte ich schon einmal erlebt. Es ist mörderisch mit welcher rücksichtslosen Kraft sich die Pferde versuchen loszureißen. Sigi brüllend , ich wie gelähmt, Peggy hat den halben Weidezaun umgerissen, Pfosten flogen, der Zaun peitschte durch die Luft, dann jagte sie den Waldweg hinunter. Es war die Hölle. Irgendwann hatten wir dann doch die drei Pferde, das Sattelzeug und dem Rest den Sigi auf der Weide noch gefunden hatte. Wirklichkeit stellte sich ein. Erst langsam, bruchstückhaft realisierten wir, daß Mira beim zurückdrängen an diesem verdammten Rinnsal an diesen jetzt unscheinbar herumliegenden Elektodraht gekommen sein mußte, der kurz danach Peggy erwischt hatte. Erst jetzt realisierten wir auch die Rinder auf der Weide, den Bachlauf und den vergammelten Draht welcher die Weide umspannte. Ich habe beim provisorischen Zusammenflicken des Drahtes eine geschossen gekriegt wie nie. Die Reaktion der Pferde war klar.
Strupp lag derweil in jenem kleinen Rinnsal. Die ganze Hektik hätte wie ich ihn kannte alle seine Schutz und Behüterinstinkte ausgelöst. Nichts davon. Kein Bellen, kein Jagen, er wartete. Ich glaube wenn es darauf ankommt , wenn es wirklich wichtig ist, macht dieser Hund alles richtig.
Vielleicht eine Stunde später kamen Sigi und ich mit den Pferden im Schlepptau auf Dieters Hof in der Delling an. Pferde auf die Weide , war müde, ganz müde, hab mich von dieser Müdigkeit den restlichen Ritt nicht mehr ganz erholt, hatte diese Hilflosigkeit, diese Ungewißheit immer noch in den Knochen. Wenn ich die nächsten Tage mal alleine draußen war, hab ich plötzlich angefangen zu Heulen, ganz still lief mir dieses Gefühl übers Gesicht, wie aus dem Nichts. Renate war auch wieder da. Leichte Gehirnerschütterung, blaues Auge, geschwollenes Bein, sie sah hundeelend aus. Maria, Dieters Frau hat uns was gekocht, Renate ins Bett verfrachtet. Ich saß mit Sigi und Dieter draußen.
Jetzt erst recht. Nur nicht aufgeben. Morgen geht’s weiter. Dieter hat keinen Zweifel daran gelassen. Sowaß machst du nie wieder, solange hast du dich darauf vorbereitet. Ich bringe Renate mit dem Pferdehänger hinterher. Ich muß zugeben wie in Trance hab ich einen neuen, nie verrutschenden Sattel gekauft, Vorderzeug dazu. Nur nie mehr verrutschen. Sigi brachte seine Satteltaschen und sein Superhalfter mit einschnallbarem Gebiß. War wieder so wie auf Gleisen, alle haben geholfen, Mut gemacht, und Abends war Mira wieder voll ausgestattet, besser und sicherer als je zuvor. Renates Bein wurde immer dicker, sowaß schwarzblaues habe ich noch nie vorher gesehen. Das Auge schwoll immer mehr zu. Morgen, neeh allein lassen wollte ich sie nicht.
Eine Woche , mit Heparin gegen Blutgerinnsel und Schmerztabletten haben wir in Öldorf verbracht, nur zum Einkaufen und zum Arzt raus, so getan als wären wir noch unterwegs. Nur den Mut und die Kraft behalten, weder Renates Kindern noch den Eltern von diesem Anfang erzählt. Mit jedem Tag hab ich meine Kraft und meinen Mut von einem halben Jahr Vorbereitung und Vorfreude zerrinnen sehn, hab mich wieder mit Vorbereitungen und Reparaturen für den zweiten Anfang aufgebaut. Und zwischendurch immer wieder dieses Heulen wenn ich alleine draußen war. Neue Tassen, diesmal aus Stahl, alles in Platikdosen verpackt bevor es in die Satteltaschen kam. Feldflasche für Renate , neeh nie wieder, die war doch beim Buckeln am Rinnsal vorne am Sattel abgerissen und gegen ihren Kopf geknallt. Eine viertel Stunde Bewusstlosigkeit für einen Liter Wasser vorne am Pferd. Alles wieder und wieder gepackt, gewogen, aussortiert, das Nötige vom Unnötigen getrennt.
Ich muß morgen los Renate, ich schaff es sonst nicht mehr, hab gemerkt wenn ich jetzt nicht losgehe zerfällt meine ganze Kraft.