Zwei Wochen Kanada, eine Woche Andalusien, mit Pferden durch die Mongolei. Franz, das wär doch was für dich. Wie oft hatte ich das schon gehört und jedes Mal so ein komisches Gefühl im Bauch gehabt. Hab zwei Pferde, Peggy und Julchen, sitze gern im Stall, miste gern aus, spiele mit den beiden Zirkus auf meinem kleinen Platz. Reite durch den Wald in unserer Nähe, reite aber lange nicht genug um beiden glaubhaft erklären zu können warum ich in Kanada mit einem Leihpferd eine so wichtige und intensive Zeit erleben möchte und nicht mit ihnen.
Hab das Wanderreiten letztes Jahr bei uns vor der Tür im Umkreis von 50 Km schon mal mit meinem Freund Hepp probiert. Vorbereiten, Karten kaufen und fünf Tage unterwegs. Nicht gewusst wo man abends ankommt, gefragt, Zelt aufgebaut und am nächsten morgen weiter. War ein hammer Erlebnis, ein bisschen wie besoffen, Natur, der Wald und die Pferde waren mir so nahe gekommen wie nie. Hatte tagelang danach noch das Gefühl zwischen und nicht in den Dingen zu sein. Hab mir oft den Wald am Horizont angesehen, hatte richtig Sehnsucht und irgendwie hatten die Pferde mir was von ihrer Kraft abgegeben. Das Reiten danach im Kollenbachtal bei uns zu Hause, zwei Stunden als Fittnesübung, hatte zwischen uns leider auch an Glaubwürdigkeit verloren. Fittnes gegen frei lange Wege gehen, sich auf Neues einzulassen, stolz zu sein, nein, irgendwie war die Beschäftigung mit Peggy und Julchen auf zweistündigen Fittnesritten nicht angemessen und Kanada ohne sie auch nicht mehr drin.
Hatte viel gearbeitet das letzte Jahr, eine schöne Arbeit, ging aber zu Ende. Neue Arbeit, viel neue Arbeit für uns alle zeichnete sich überhaupt nicht ab. Wir mussten Mitarbeiter entlassen, Kurzarbeit anmelden, Zeit statt Geld wurde eine sinnvolle Alternative. Viel Zeit.
Mache dies Jahr einen großen Ritt war die erste beiläufige Andeutung im Büro. Will acht Wochen von zu Hause bis an die Elbe reiten, da bin ich geboren. Ungläubige Blicke, na gut, ich hatte jedenfalls meinen Traum ausposaunt und mir erst mal was ganz besonderes gewünscht. Hab meiner Freundin, meinen Kindern, meinen Auftraggebern der laufenden Projekte von meinem Plan erzählt. Acht Wochen allein mit Pferden quer durch Deutschland. Irgendwie machte sich dieser Plan selbständig. Selten musste ich ihn verteidigen und es entwickelte sich eine fast schwerelose Eigendynamik. Wie ein Zug rauschte die Zeit dahin, auf festen Gleisen mit festbestimmtem Ziel. Die Vorbereitungen nahmen immer mehr Platz ein und die anfängliche Skepsis der anderen wich immer mehr deren Mitfreude. Es gab keine ernsthaften Ereignisse mehr die unseren großen Ritt gefährden konnten. In Wahrheit passierte in den letzten Wochen vor dem großen Aufbruch jede Menge aber ich habe nur noch wenig an mich herankommen lassen, und schon gar nichts was mein Vorhaben in Frage gestellt hätte. Irgendwie war ich wie in Trance.
Acht Wochen allein, die Frage stellten alle, ich mir erst viel später. Irgendwo nagte diese Frage denn doch an mir. War eben mein Traum, meine Sehnsucht, mein Versuch den ich mir da vorgenommen hatte, war ein bisschen wie weglaufen um anzukommen, wollte rauskriegen wie ich allein zurechtkomme mit fremden Menschen, mit fremden Wegen, mit Ankommen und Verabschieden, wollte um den Preis von Alleinsein, vielleicht auch meiner Traurigkeit mit dem Gefühl gewollt zu sein zurückkommen. Hatte davor keine Angst, war nur gespannt und voller sicherer Hoffnung und Neugierde. Ich denke diese Sehnsucht vom letzten Wanderritt mit Hepp, dieses Gefühl von Aufgehobensein und diese endlose Ruhe waren für das Ganze verantwortlich.
Meine Freundin Renate war von der Vorstellung mich acht Wochen nicht zu sehn wenig begeistert, gab denn doch einige Auseinandersetzungen. Renate hat auch Pferde, hätte diese Erfahrung gerne mit mir geteilt, ich wollte allein, war irgendwie so angelegt. Sechs Wochen vor dem großen Termin waren wir immer noch nicht weiter. Wir haben uns ziemlich gequält.
Renate reitet jetzt die ersten drei Wochen mit. Hatte sich aus unseren Gesprächen so entwickelt, war irgendwie auch logisch geworden, und das sie mir am Anfang hilft machte das Ganze ehrlich gesagt auch leichter. Hatte zwischenzeitlich auch Strupp den Hund meiner Freunde und meine Freunde Hans und Hildegard davon überzeugt das Strupp mich Einsamen begleiten würde. Fünf weitere Wochen zum Alleinsein hatte ich ja noch. Von nun an freuten wir uns zusammen, und die Vorbereitungen liefen auf hohen Touren.
Schon das Besorgen der Wanderkarten aus vier unterschiedlichen Landesvermessungsämtern, der Ritt sollte uns ja durch vier Bundesländer führen war abenteuerlich genug. Die verschiedenen Maßstäbe der Wanderkarten, fehlende Kartenübersichten, die Buchhändlerin Frau Wolf hat sich die größte Mühe gegeben, daran verdient hat sie gar nichts. Immer wieder das Mitinteresse und die Mitfreude. Ob superkleine Isomatte, Minikocher, Alutrinkflaschen oder Wanderreitzaun, alle die mit unserem Vorhaben auch nur irgendwie beschäftigt waren hatten bald dasselbe Leuchten in den Augen wie wir. Es war ein bisschen wie verliebt. In die Deutschlandkarte wurde die grobe Richtung Köln – Magdeburg eingetragen, in die Deutschlandkarte nördlicher Teil die Katenausschnitte der Wanderkarten, in die Wanderkarten 1:50.000 die vorhanden Ausschnitte der Wanderkarten 1.25.000, aus dem Buch Ferien auf dem Bauernhof verschiedene Unterkünfte. Ab und zu wollten wir schon mal Duschen und nicht im Zelt schlafen. Ich erinnere mich an einen Abend beim Essen in Berlin. Ein mir fremder Tischnachbar sprach mich auf mein versunkenes Lächeln an. Ein Wort gab das andere und danach wollte ich auf jeden Fall in den Rheinhardswald. Der lag auf meiner Strecke, er war da aufgewachsen, und ich hatte nach diesem schönen Abend eine ganz nahe Vorstellung davon was mich da erwarten würde. Wildfremde die von unserer Tour gehört hatten haben uns Tipps gegeben, hier ist es schön, da müsst ihr hin, da bin ich aufgewachsen. Tagelang habe ich Probegepackt, gewogen, hier noch einen Riemen, da noch eine zusätzliche Schnalle, Dieter und Siggi zu Rate gezogen, Feldflaschen, Medizin vom Tierarzt, Hundefutter, Zelt und Schlafsäcke. Die Vorbereitungen waren ein mehr als freizeitfüllendes Programm von Monaten, meine Wohnung verwandelte sich immer mehr zu einem Lager für Wanderreitausstattungen. Der Rücktransport von Renates Pferd wurde organisiert, meine Kinder erklärten mir das Handy welches sie mir für den Notfall geschenkt hatten, EC – Karte, Bargeld und Krankenversicherungsausweis, wichtige Telefonnummern in das Handy programmiert, Notfallzettel mit Anschriften, es war der Wahnsinn. Der letzte Termin in Berlin auf der Baustelle, wirklich tolle fast liebevolle Verabschiedungen und gute Wünsche, viel Mitfreude im Büro, alle gaben mir das Gefühl etwas ganz besonderes vorzuhaben. Die letzte Nacht vor dem großen Ritt war einfach da.
Hab noch vergessen zu erzählen das ich mir bei Henry eine kleine elektrische Traveller Gitarre, eine zwanzig Jahre alte, gelbe Chiquita gekauft habe. Zusammen mit meinem Effektgerät mit Kopfhörer, Superklasse. Hab auch die Jazzgitarrenschule von Michael Sagemeister dabei, ein wirklich tolles Lehrbuch, und Zeit habe ich ja jetzt ohne Ende. Hab noch so viel vergessen, habe bei den ganzen Vorbereitungen wirklich nur schöne Erfahrungen gemacht und wieder mal gelernt, man muss sich und seine Pläne selber wichtig nehmen, dann tun dies andere auch.